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Bibliotherapie oder Lesen tut gut

 

 

 

 

"Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne."

Jean Paul

          


Gestern war der UNESCO-Welttag des Buches und so dachte ich, es wäre eine gute Gelegenheit, über eines meiner Seelen-Hobbys zu schreiben.



"Von seinen Eltern lernt man lieben, lachen und laufen.

Doch erst, wenn man mit Büchern in Berührung kommt,

entdeckt man, dass man Flügel hat."

Helen Hayes


Wenn am Abend die Fensterläden geschlossen waren, die kleine Lampe das Kinderzimmer in ein behagliches Licht tauchte und Bewegungen als Schatten auf den Wänden wanderten, begann die schönste Zeit des Tages.

Die Stimme meines Vaters ließ den kleinen Muck mit seinen verzauberten Pantoffeln, Kai, Gerda und die Schneekönigin, die kleine Meerjungfrau und das Mädchen mit den Schwefelhölzern lebendig werden. Es gab viele Märchengestalten, die ihre Geschichten in meinem Kinderzimmer erlebten, mich in das Land der Träume begleiteten. Der große Onkel Zauberer und Flitzehui durchlebten meine Erlebnisse des Tages ein zweites Mal mit mir - Figuren, die mein Vater für mich erfunden hatte.

Viele Jahre später saß ich abends am Bett meines Sohnes und verwandelte sein Kinderzimmer in Bullerbü oder Lönneberga, schickte ihn mit Tiger und Bär nach Panama und traf das kleine Schweinchen.


Ein Leben ohne Bücher kann ich mir nicht vorstellen. Für mich ist lesen ein Grundbedürfnis, ein Teil meines Lebens. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mich lesen und träumen gelehrt haben. In der Erinnerung sehe ich meinen Vater lesend in seinem Sessel sitzend, manchmal noch eine Pfeife rauchend, aber immer mit seinen Gedanken in der Welt des Buches versunken, welches er gerade in den Händen hielt. Für meinen Vater waren Bücher voller Wissen, Träume und Phantasien. Auf den Regalen fanden sich Autoren wie Homer, Platon und Aristoteles ebenso wie Pearl S. Buck, Dürrenmatt, Dee Brown und Edgar Wallace. Wundervolle alte Bücher, wie eine besondere Ausgabe von „Tausendundeine Nacht“, wurden mit Vorsicht und Respekt behandelt, Sagen und Märchen entführten in Zauberwelten und Bildbände in Teile der Erde, die wir in der Realität nie besuchen würden können. Der Faszination von Büchern und den Geschichten zwischen den zwei Deckeln konnte ich schon als Kind nicht widerstehen und so sitze auch ich oft auf meinem Sessel und bin in eine „Anders-Welt“ versunken.

Auf meinem Bücherregal finden sich neben meinem allerersten, eigenen Buch – Grimms Kinder – und Hausmärchen von 1962 – einige der wunderschönen, alten Bücher meiner Eltern und auch einige meiner Großmutter. Sie liebte Gedichte und so bekam ich schon 1966 eine Ausgabe von „Der Ewige Brunnen“, voller Gedichte, Sprüche, Zitate aus acht Jahrhunderten deutscher Literatur.


Jede Zeit meines Lebens hatte ihre Bücher, einige sind bis heute geblieben. Ich bin mit Lederstrumpf und Chingachgook durch die Prärie gestreunt, habe Enid Blytons „Hanni und Nanni“, die „Fünf Freunde“ und die „Abenteuer“ Bücher verschlungen. Dann kamen in meiner Jugend die Bücher von Johannes Mario Simmel, von denen ich „Und Jimmy ging zum Regenbogen“, „Liebe ist nur ein Wort“ und „Gott schützt die Liebenden“ heimlich nachts unter der Bettdecke weitergelesen habe. In der Schule haben wir „Ich habe sieben Leben“ gelesen, ein Buch über Che Guevara, dessen Visionen einen nachhaltigen Eindruck hinterließen.

Noch heute sind mir zwei Zitate von Che in Erinnerung:

  • "Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche."
  • "Wissen macht uns verantwortlich."

Vor über 20 Jahren habe ich einen großen Karton mit Büchern von Heinz G. Konsalik verschenkt, den Kopf schüttelnd, dass ich sie je gelesen habe. Es hat eben alles seine Zeit. Diese Bücher gehörten definitiv nicht mehr zu meinem Leben. Es gibt jedoch noch einige Bücher, die aus reiner Nostalgie in meinem Bücheregal stehen, weil sie meiner Oma gehört haben und schon fast 100 Jahre alt sind, nicht, weil ich sie nochmal lesen würde.

 

Ich liebe Krimis und bin ein Fan von Martha Grimes „Inspektor Jury“, Martin Walkers „Bruno Courrèges“, Cay Rademachers "Capitaine Roger Blanc", Gil Ribeiros "Leander Lost", Donna Leons „Commissario Brunetti“ und Sven Strickers "Kriminalhauptkommissar Sörensen". Diesen Büchern kann man ansehen, dass sie mehr als einmal gelesen wurden. Die liebsten Krimis sind mir allerdings die Bücher rund um das Klever KK 11, zu dessen Autoren-Team ein ehemaliger Oberarzt aus meiner Zeit als Krankenschwester an einem Krankenhaus am Niederrhein gehört. Es ist schön, sich beim Lesen an die Landschaft, die Orte, den, für mich schwer einzuschätzenden, Menschenschlag zu erinnern und in Gedanken mit den Kommissaren die bekannte Gegend nach den Tätern zu durchstreifen.

 

Mein Vater hatte eine Ausgabe vom „Herr der Ringe“ in der ersten deutschen Übersetzung von Margaret Carroux, aus der er mir vorgelesen hat. Nicht, weil ich noch nicht lesen konnte, sondern weil er es wunderschön konnte. Nach dem Tod meiner Eltern habe ich dieses Buch gesucht, es war verschwunden. Ich kaufte mir einen neuen „Herr der Ringe“ und achtete leider nicht auf das Erscheinungsdatum und hatte, nach meiner Meinung, ein völlig anderes Buch. Heute habe ich die erste Übersetzung von Margaret Carroux und gehe von Zeit zu Zeit mit Frodo, Sam, Merry und Pippin auf ihre abenteuerliche Reise. Natürlich steht „Der Hobbit“ daneben auf dem Regal. Beim Lesen erinnere ich mich an die Stimme meines Vaters und seine besondere Aussprache mancher Namen und Orte, an sein Flüstern, wenn ein ganz besonders spannender Abschnitt zu lesen war. Dann sehe ich uns zusammen auf dem Sofa sitzen, die Beine auf einem Sessel und fühle mich geborgen.

 

Mein Sohn hat mich mit Harry Potter infiziert, die Bücher habe ich verschlungen. Heute habe ich alle 7 Bände nicht nur in verschiedenen Buchformen, sondern auch als Hörbuch, sowohl von Rufus Beck als auch von Felix von Manteuffel gelesen. Es gibt viele Situationen, in denen ich Hörbücher liebe. Ich kann mit Kopfhörern und geschlossenen Augen der Welt entfliehen und mich von der Stimme treiben lassen.


Meine Regale und Bücherschränke, mein Tablet und mein MP3-Player sind voller unterschiedlicher Bücher - neben alten und neuen Schätzen finden sich Fachbücher zum Thema Aromatherapie, mein allererstes Anatomiebuch, Ratgeber (vorallem zu den Themen Garten und Pflanzen), Krimis, Weltliteratur, Biographien, Sommerschmöcker und Winterkuschellesestoff, Geschichtsgeschichten und ein paar meiner Kinderbücher. Eine wirre Mischung, trotzdem hat jedes Buch seine Daseinsberechtigung und viele sind mehr als einmal gelesen.

Ab und zu wird ausgemistet - meistens unter meinen Fachbüchern und Schmöckern, denn es kommen immer neue Bücher hinzu. Lesen ist für mich Lebensqualität und auch das Bücher hören habe ich lieben gelernt.

Gerade in Zeiten voller Unwägbarkeiten oder Seelenchaos kann ein Buch Helfer, Tröster, Heiler oder Begleiter sein. Vielleicht auch für den Moment des Lesens einfach eine Auszeit von der Realität, eine Pausetaste für das Kopfchaos.


Der Begriff "Bibliotherapie" kommt aus dem Griechischen und setzt sich aus "biblion" für Buch und "therapeia" für zu Diensten sein. Dort wurde die "Nutzbarmachung des Lesens zu therapeutischen Zwecken" von den "alten Griechen" eingeführt.

In Amerika werden seit dem 19. Jahrhundert speziell ausgewählte Bücher als unterstützende Therapie bei der Behandlung von psychisch Kranken eingesetzt.

In meinem Pschyrembel (klinisches Wörterbuch) findet sich unter dem Begriff Bibliotherapie folgendes:"Form der Psy­cho- und Kunst­the­rapie, bei wel­cher der Patient durch Lek­tü­re ge­eig­ne­ter Litera­tur oder die Pro­dukti­on von Tex­ten dar­in un­terstützt werden soll, die eigene emotiona­le Aus­drucks­fähig­keit zu för­dern und ver­bes­sern. Ziel ist die Un­terstüt­zung von Heilungs-, Bewäl­tigungs- so­wie Ent­wicklungs­prozessen. Die Wirksamkeit ist belegt."

In Großbritannien, den USA und in Schweden ist die Bibliotherapie als psychotherapeutisches Verfahren anerkannt und kann dort studiert werden.

In Großbritannien gibt es z.B. bei leichten Depressionen "Books on prescription", Bücher auf Rezept. Damit soll unter anderem die Wartezeit auf einen Therapieplatz überbrückt werden. Es gibt einige Studien, die die Wirkung der Bibliotherapie bestätigen. Allerdings sollten die ausgewählten Bücher zum jeweiligen Menschen und seiner Situation passen.

Wer mag, kann hier weitere Informationen finden:

Bibliotherapie lindert Depressionen

Poesie- und Bibliotherapie - nicht drauf vertrauen, nur hoffen

Dissertation - Verhaltenstherapie integrierte Bibliotherapie (es hat mit dem Doktortitel geklappt - die Praxis ist in Gunzenhausen)

Buch:

Lesen macht gesund


Wer es weniger wissenschaftlich, sondern eher poetisch mag, wird sich in der „Pharmacie Littéraire“, dem Bücherschiff des Monsieur Perdu verlieren.

Sein Motto:" Ein Buch ist Mediziner und Medizin zugleich. Es stellt Diagnosen und ist Therapie."

Ich bin durch den Titel des ersten Buchs über Monsieur Perdu - "Das Lavendelzimmer" - auf diese wunderschönen Bücher gestossen. Das letzte ist erst diesen Monat erschienen.

Man sollte sie in dieser Reihenfolge lesen:

Das Lavendelzimmer

Südlichter

Das Bücherschiff des Monsieur Perdu


Ich wünsche mir, dass ich ausdrücken konnte, dass Bücher nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Seelenfutter sein können. Sie wollen sorgsam ausgewählt werden, denn es findet sich für jeden Menschen und jede Situation das richtige Buch - wenn man sich auf das Abenteuer der Suche nach den Büchern für's Leben einlässt.

Monsieur Perdu hat es so beschrieben:"Was Sie lesen, ist auf lange Sicht entscheidender, als welchen Mann Sie heiraten, ma chère Madame."


Ich verlinke die Literaturempfehlung der Einfachheit halber mit einem großen Onlinebuchhandel, bevorzuge jedoch den Buchhandel vor Ort.

enthält unbezahlte Werbung

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