Alles so anders...

25. Februar 2022

Am Nikolaustag 2019 klingelte mein Wecker nicht wie gewohnt um 6:00 Uhr. Er sollte nie wieder um diese Uhrzeit seinen Weckruf in Richtung meiner Ohren schicken müssen. Den Rest des Monats durfte ich noch Überstunden und Resturlaub abbummeln, um pünktlich mit dem Silvesterfeuerwerk um 0:00 Uhr und einer Sekunde mein Leben als Rentnerin zu beginnen.

So viele Pläne, so viele Ideen, so vieles im Kopf - es sollte eine unvergessliche Zeit beginnen. Keine Hektik, keine Vorschriften, keine Verpflichtungen und keinen Stress. Einfach nur richtig gut leben, die Freiheit genießen, vielleicht auch wieder Flausen im Kopf kriegen und etwas völlig verrücktes tun.

Heute ist (nicht nur) mein Leben figgelinscher als ich es mir je hätte vorstellen wollen, es ist alles so anders....

 



Als Ende Januar 2020 in Deutschland die erste Infektion mit SARS-CoV 2 bestätigt wurde, habe ich nicht im entferntesten daran gedacht, dass dieses Virus auch 2 Jahre später unser aller Leben fest im Griff hat.

Zwei Jahre in denen sich das Leben mit Maske, Vorschriften, Verboten und dösigen Menschen die viel zu sagen hatten (aber sich nicht ausklamüüstern konnten) zu einer psychischen und oft auch physischen Kraftanstrengung entwickelt hat.

 

Ein pfiffiges Virus hat die Menschheit überrumpelt und nicht nur Krankheit gebracht, sondern auch Dissonanzen in der Gesellschaft. Es hat mich entsetzt, dass es selbst im Freundeskreis häufig nicht möglich ist, Respekt für die unterschiedlichen Meinungen zu den Maßnahmen des Infektionsschutzes zu zeigen.

Stattdessen wird die eigene Meinung als die einzig richtige bezeichnet und der Andere als Dösbaddel (oder schlimmer) hingestellt. Sicher kann man viele Maßnahmen hinterfragen, aber da macht der Ton die Musik. Ich habe langjährige Freundinnen, die nicht mit meiner Meinung konform gehen und wir werden bei diesem Thema nie einer Meinung sein, trotzdem haben wir eine Basis gefunden, die sich Respekt und Akzeptanz nennt, um unsere Freundschaft nicht zu gefährden. Ich bin sehr dankbar dafür, denn es geht auch anders.


Seit fast 2 Jahren (einer gefühlten Ewigkeit) wird per Post und Telefon geknuddelt - Nähe ist eher nicht mehr spontan. Mein Lupus beschert mir ein hohes Risiko und so bin ich noch vorsichtiger als zur Grippezeit.

Es ist gut, dass es eine Festnetz-Flatrate gibt und meine Hände das Basteln tolerieren. So manche liebgewordene Routine hat sich eingeschlichen, wie ein Montagmorgen-Moin in den tiefen Süden der Republik.

Aromaseminare gibt es als Podcast oder WebSeminar. Viele Ideen mussten umgesetzt werden, um so manches Überleben zu sichern. Trotzdem bleibt bei vielen Selbständigen (und manchen Nichtselbständigen) die Existenzangst ein täglicher Begleiter.

Spontan irgendetwas zu unternehmen kann ich mir im Moment nicht vorstellen - es ist eben alles figgelinsch, schwierig.

 



Ich denke an den Titel meiner Facharbeit zur AromaExpertin:

"Nichts macht uns mehr Mut,

nichts gibt uns mehr Nähe

und nichts hat einen stärkeren Zauber,

als eine sanfte Berührung"

(Autor unbekannt).

Umarmungen ohne zu überlegen, Mitgefühl und Freude zeigen können und nach Herzenslust lachen - ohne Maske. All das fehlt und ist doch so wichtig.

 

Ich hatte die Hoffnung, das Jahr 2022 wird ein besseres Jahr werden. Im letzten Jahr hat mich mein Lupus viel Kraft und Durchhaltevermögen gekostet. Als wäre das nicht genug, hatte das Leben zusätzliche Unbill parat, die die Sicht auf eben jenes in Schieflage gebracht hat.

Wie gerne würde ich mit meinem Mann Scholle satt mit Bratkartoffeln in unserem Lieblingsrestaurant an der Nordsee essen. Wie gerne würde ich meine entfernt wohnenden Freunde besuchen, einfach mal spontan etwas unternehmen und unvernünftig sein. All das habe ich mir für dieses Jahr gewünscht, habe gehofft, dass wenigstens ein Stück Normalität in den Alltag zurückkehrt. Die ersten vorsichtigen Lockerungen machen Hoffnung und die Aussicht auf einen etwas unbeschränkteren Alltag zaubert ein Lächeln ins Gesicht.


Seit gestern hat sich jedoch ein anderes Gefühl eingeschlichen, eine Empfindung von der ich nicht erwartet hätte, sie je zu spüren - die reale Sorge vor einem Krieg, in dem Waffen verwendet werden könnten, die nie wieder zum Einsatz kommen sollten.

Der Krieg in der Ukraine ist nicht der erste Konflikt in Europa seit dem Ende des 2. Weltkrieges 1945. Warum ist mein Unbehagen heute so groß wie nie? Weil etwa 2.300 km von meinem Zuhause ein Wesen in seiner roten Residenz sitzt und in einem Land sein Unwesen treibt, dass "nur" 1.200 km von meinem Zuhause entfernt ist. Weil dieses Wesen endlich seine Maske abgenommen hat, hinter der er sich 2 Jahrzehnte verborgen hat. Weil die restliche Welt sich einig sein müsste, um dieses Wesen aufzuhalten und ich mich frage, ob das gelingen wird.

 

Keiner der unten aufgelisteten Konflikte in Europa hat in mir dieses Gefühl namens Angst hervorgerufen. Vieles ist in Erinnerung geblieben, wie Sarajevo und Srebenica, aber ich hatte niemals solche Bedenken, diese Auseinandersetzungen könnten sich zu etwas Großem ausbreiten. Es ist für mich trotzdem unfassbar, was Menschen sich überall auf der Welt antun und was Menschen dadurch überall auf der Welt erleiden müssen. 

  • 1974 gab es auf Zypern einen Konflikt zwischen der türkisch-zypriotischen Minderheit und der griechisch-zypriotischen Mehrheit. Der Nordteil der Insel wird von türkischen Truppen besetzt, um einen Anschluss der gesamten Insel an Griechenland zu verhindern. Die Insel wird geteilt und 1983 wird die Türkische Republik Nordzypern proklamiert, die aber nur von der Türkei anerkannt wird. Noch heute ist Nikosia eine geteilte Hauptstadt und auf der Insel gibt es eine UN-Pufferzone.
  • 1991 bis 2001 gab es die Jugoslawien - oder Balkankriege. Neben ökonomischen Schwierigkeiten gab es auch etnische und religiöse Probleme. Das Massaker von Srebenica im Juli 1995 an muslimischen Männern und Jungen durch serbisch-bosnische Milizen und die Belagerung Sarajevos vom 5. April 1992 bis zum 29. Februar 1996 durch bosnische Serben mit über 10.600 Toten (davon 1.600 Kinder), etwa 50.000 Verletzten und etwa 10.000 bis heute Vermissten, gehören zu den Greueln dieser Kriege.  1999 beschließt die NATO Luftangriffe, um Massaker im Kosovo zu beenden an denen auch deutsche Soldaten beteiligt waren. Insgesamt haben diese Kriege mehr als 200.000 Tote gefordert.
  • Tschetschenien ist eine Teilrepublik im Nordkaukasus. Dort gibt es seit 1994 immer wieder Konfikte, nachdem Moskau durch zwei Kriege mit zehntausenden Toten die Abspaltung dieser Region verhindert. Terroristen kämpfen weiter um ein von Moskau unabhängiges Emirat.
  • Die überwiegend christlichen Armenier in der Region Bergkarabach spalten sich 1991 von muslimisch geprägten Aserbeidschanern ab. Es kommt zum Krieg mit etwa 30.000 Toten. Aserbeidschan verliert nach dem Waffenstillstand von 1994 die Kontrolle über die Region. 2020 gibt es erneute Kämpfe mit ca. 6.500 Toten und Aserbeidschan holt sich einen großen Teil der verlorenen Gebiete zurück. Russland beendet den Konflikt (vorläufig) durch ein im November 2020 vermitteltes Waffenstillstandsabkommen.
  • Im Jahr 2008 gibt es einen 5-Tage-Krieg zwischen Georgien und Russland und damit eine schwere Krise seit "Ende" des Kalten Krieges. Die zwei Provinzen Südossetien und Abchasien gehören nach Ende der Kämpfe endgültig zu Russland und sind von Moskau abhängig.
  • 2014 beginnt der Konflikt in der Ukraine mit der Annexion der Krim.....

 

Beim Schreiben dieser Liste wird mir bewusst, dass es seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem folgenden Zusammenbruch des "Ostblocks" immer Konflikte und Kriege in diesen Regionen gegeben hat. Es ging und geht um Geld, Macht, Kontrolle für die Einen und um bessere Lebensbedingungen für die Anderen. In einigen Ländern, in denen friedliche Revolutionen 1990 für einen Wandel gesorgt haben, sind wieder Schwingungen hin zur alten Regierungsform zu spüren.

Bis gestern dachte ich, irgendwie wird es besser werden, irgendwann wird es gegenseitigen Respekt und Akzeptanz geben.

 


Stattdessen komme ich mir mit meiner Sorge dösig vor, denn ich höre kein Sirenengeheul und keine Detonationen, muss nicht fliehen oder Schutz in irgendwelchen Tunneln oder Kellern suchen.  Ich denke an die Erzählungen meiner Eltern und Großeltern, die den zweiten Weltkrieg, bzw. beide Weltkriege, erlebt haben. Ich denke an die Mimik meiner Mama, wenn sie erzählt hat, wie es war Hunger zu haben, in einem Luftschutzbunker festzusitzen und die Bombeneinschläge zu hören und ich bin dankbar, dass ich das nie erleben musste.


Stattdessen fällt mir ein Gedicht von Mike Krüger aus dem Jahr 1975 ein:

Sinn der Bundeswehr

"Wir produzieren Sicherheit

um diese Welt zu bessern.

Alles, damit ihr Menschen sicher seid,

füll'n den Frieden ab in Fässern.

Und wenn der erste Schuss dann kracht

und alles liegt in Asche,

dann werd'n die Fässer aufgemacht

und jeder kriegt 'ne Flasche."

 


Wobei es beim derzeitigen Zustand unserer Verteidigungseinheiten gut wäre, es gäbe zumindest diese Friedensfässer. Aber das ist ein anderes Thema.


Stattdessen mische ich mir einen Duft, der mich an meinen Traumzauberort in der Provence katapultiert. Erinnerungen die gut tun und die Realität ein wenig weichzeichnen.

Die Mischung enthält:

  • Bergamotte (Citrus bergamia)
  • Blutorange (Citrus sinensis)
  • Ginster Abs. 15% (Spartium junceum)
  • Lavendel extra (Lavandula angustifolia)
  • Mimose Abs. 15% (Acacia dealbata)
  • Neroli 10% (Citrus aurantium ssp. amara)
  • Honigextrakt
  • Rosmarin campher (Rosmarinus officinalis c.t. campher)
  • Eichenmoos 66% (Evernia prunastri) - eine Kostbarkeit in meinem Ölekoffer

 


Stattdessen höre ich mir den Podcast von Eliane und Sabrina an - passend zur Weltsituation: "Vom Gedankenkarussel zur Gelassenheit".


Stattdessen bewundere ich den Mut der Ukrainerin in Henitschesk, die zwei russische Soldaten mit der Frage "Was zur Hölle machen Sie in unserem Land?" konfrontiert.

Ich bete und hoffe für die Menschen in der Ukraine, dass dieser Krieg bald ein Ende hat und das es keine zusätzlichen Greueltaten geben wird.

 


Stattdessen hoffe ich, dass die "Mächtigen" dieser Welt Lösungen finden, etwas finden um den Menschen in der Ukraine zu helfen, etwas finden, was sie den Taten und Drohungen dieser Grootsnut entgegensetzen können. Stattdessen möchte ich am liebsten weder Nachrichten sehen, hören oder lesen, weil ich ganz tief innen drin gar nicht wissen will, welch krude Fantasien dieses Wesen in seiner Türmchen verzierten Residenz als Rechtfertigung für dieses menschenverachtende Verhalten in die Welt posaunt.

Stattdessen hoffe ich für uns alle, dass heute in New York bei der UNO-Sicherheitskonferenz der Verstand und nicht die Machtgier die Überhand hat und dass die Weltordnung morgen nicht eine völlig andere sein wird.

Es ist eben alles so anders....